Via Rasella, Rom 1944

Mein Gedichtzyklus „Via Rasella“

Ein paar Worte zur Erklärung vorab:

Am 23. März 1944 fanden 33 Soldaten des Polizeiregiments Bozen den Tod, als sie durch die Via Rasella in der römischen Innenstadt marschierten und dort eine von italienischen Partisanen („Gruppi di azione patriotica GAP“) gezielt deponierte Bombe explodierte. Die Kompanie bestand aus meist älteren Südtiroler Männern, die in die „freie Stadt Rom“ versetzt worden waren, um italienische und deutsche Dienststellen zu bewachen.

Die von der Resistenza beabsichtigten Vergeltungsmaßnahmen der Deutschen blieben nicht aus. Genau so wie gewollt entschieden die deutschen Militärs mit SS-Obersturmbannführer Herbert Kappler noch am gleichen Tag, für jedes Todesopfer zehn Italiener zu erschießen. Am nächsten Tag wurden 335 Menschen, der Älteste 75 Jahre, der Jüngste 14 Jahre, die man aus verschiedensten Gefängnissen und Straflagern Roms zusammengesucht hatte, in den Ardeatinischen Höhlen eiskalt durch Genickschuss getötet. Damit wurde dem unbeschreiblichen Leid des Tags zuvor noch eine weitere unfassbare Grausamkeit hinzugefügt.

Am 23. März 2024 jährt sich zum 80. Mal der Anschlag auf die Soldaten des Polizeiregiments Bozen in der römischen Via Rasella.

Und einer der 33 Toten in der Via Rasella war mein Großvater Michael Josef Moser, Tischler in Stilfs und Vater zweier kleiner Kinder. Mein Vater Otto war zu diesem Zeitpunkt gerade mal fünf Jahre alt, meine Tante Erna acht.

Als Enkelin kann ich – gerade auch angesichts der Kriege in der Ukraine, in Gaza, in Syrien… – nicht schweigen. Denn wenn wir schweigen, wird das Trauma weitergehen.

Es gilt, Worte zu finden… Worte der Versöhnung, Worte der Würdigung, Worte, die umarmen, versöhnen, die aufstehen und Stopp rufen. Das Damals ist geschehen und hat unermessliches Leid für die Angehörigen der Toten in der Via Rasella und in den Ardeatinischen Höhlen gebracht. Aber für das Heute und das Morgen können wir – WIR! – etwas tun. Nicht morgen, sondern heute, hier und jetzt.

In dieser Haltung habe ich die nachfolgenden fünf Gedichte geschrieben.

  

Via Rasella

für meinen Großvater und alle Toten

 

Zerfetzte Zukunft

auf starrer Erde

und

brüllender Widerhall

am Tag danach.

Es war Krieg,

und sie

waren Menschen.

Alle.

 

(Silvia Moser)

 

 

Märznacht 1944

 

Auch nach jenem Tag

ging der Mond auf

mit all seinen Sternen.

Ob er weinte dabei,

ist nicht gesagt.

Überliefert aber,

dass ein Kind ihn

vom Himmel schoss

mit seinem Stein

aus Fäustchenhand.

 

(Silvia Moser)

 

 

…Und dort,

irgendwo

in der erstarrten Welt,

das Mädchen,

das die Hälfte

seines pochenden Herzens

auf die Bahre

neben den toten Vater

legt.

 

(Silvia Moser)

 

 

Vom Vorbei-S(ch)ein

 

Erinnerung

an Land gespült

alle Jahre wieder

Die Toten begraben

die Tränen versiegt

Aschfahle Blumen

noch immer

auf lodernder Erde

 

(Silvia Moser)

 

Wir Enkel

 

Wir müssen sie aufheben,

die Worte,

die zerfetzten,

und wunden

vom Krieg.

Ans Herz nehmen sie,

damit Zittern endet

und Sprache heilt

in schwankender Zeit.

 

(Silvia Moser)